
„Mein Bruder ist zur Schule gegangen, bevor der Krieg los ging.“
Clara setzte sich neben Mike an die Feuerstelle.
„Er hat immer diese Zettel mit nach Hause gebracht, auf denen die Lehrerin Dinge geschrieben hatte. Kurze Geschichten zum Lesen üben.“
Mike sagte nichts, aber seine Hand zuckte verdächtig in Richtung seiner Brusttasche. Dorthin, wo der Brief der Königin wohnte.
Er hatte ihn allen gezeigt, als sie sich einigen mussten, was zu tun war. Der Krieg hatte ihre Heimat zerstört, sie alle zu Obdachlosen gemacht. Sie hätten sich gegenseitig umgebracht, wenn sie kein gemeinsames Ziel gefunden hätten.
Ein Ziel wie eine persönliche Anweisung ihrer Königin.
„Was willst du?“
Mikes Blick war starr auf das Feuer gerichtet.
„Ich glaube, dass du ein guter Anführer bist. Wir schauen zu dir auf. Du bist fair. Du wirst sehen, dass das Essen anders… gerechter verteilt werden kann.“
Er hatte darauf vertraut, dass keiner der anderen es hatte zugeben wollen. Dass sie auf den Zettel starren und so tun würden, als verstünden sie, was darauf stand. Dorfkinder wie sie hatten nie eine Schule gesehen. Sie wussten vielleicht, dass es Mikrowellen gab, aber nicht, dass man dafür Garantiescheine schrieb.
Noch weniger wussten sie, wie so etwas aussah.
„Geh schlafen“, sagte Mike. „Morgen früh reden wir über die Rationen.“
Die Mikrogeschichte hat weniger als 250 Wörter und wurde vom Thema “Brief” der Geschichten-Plattform Sweek inspiriert.
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