“Wer ist das?”
Ich schaue kurz von der Orchidee auf. Neben mir tänzelt die Fee auf der aufgeschlagenen Magazinseite um das Bild einer Frau herum.
“Pomona”, lese ich vor, “römische Göttin der Baumfrüchte.” Die Fee beäugt das Bild kritisch, und stupst schließlich die Nase der Frau mit dem großen Zeh an. Es ist ein Artikel über Apfelblüten und Bestäubung, und daneben wurde ein Gemälde aus dem 17. Jahrhundert abgedruckt.
“Ich kenne keine Pomona”, verkündet die Fee, die Arme in ihre Hüfte gestemmt.
“Kannst du auch nicht, sie ist nicht echt.” Ich atme auf. Die Pflanze ist so verpackt, dass sie den Versand übersteht. Dank des Feenstaubs blüht sie wunderschön, trotz des dunkles Winters. “Die Römer haben für jedes Naturphänomen Geschichten einen Gott erfunden. Damals war die Wissenschaft noch nicht so weit, dass man über Pollen bescheid wusste. Also haben sich die Menschen eben Geschichten von höheren Mächten ausgedacht.”
Die Fee kommt auf mich zu getrippelt. “Wie die Geschichten über Feen, die ihr euch auch bloß ausgedacht habt?” Sie hat die Arme noch immer in die Hüften gestemmt und wenn ich es nicht besser wüsste, würden ihre zusammen gekniffenen Augen mir Angst machen. Aber ich weiß mittlerweile, dass sie sich meist nur über meine Naivität lustig macht.
“Manchmal kommen wir mit unseren Geschichten ziemlich nah ran.”
Die Fee kichert, und tippelt dann wieder über das Bild. “Was ich eigentlich sagen wollte, bevor du mich unterbrochen hast: Ich kenne keine Pomona. Aber diese Nase … die würde ich überall erkennen.”
Eine Mikrogeschichte hat weniger als 250 Wörter und wird von einem Wort inspiriert. Für diese Geschichte war das Wort Pomona.
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