Als Ende letzten Jahres Netflix mit einer neuen Fantasy-Serie um die Ecke kam, war ich zugegebenermaßen vom Trailer etwas unbeeindruckt. Vielleicht konnte mich Henry Cavill mit weißer Perücke nicht ganz vom Hocker reißen, aber wenn meine Freundin mir nicht von den tollen Frauenfiguren (Ciri! Yennefer!) vorgeschwärmt und mich quasi dazu gezwungen hätte, die Serie innerhalb weniger Tage mit ihr zusammen durchzusuchten, hätte ich einen großen Bogen um „The Witcher“ gemacht.
Gott sei dank wurde ich eines Besseren belehrt, denn die Serie mochte ich tatsächlich, auch wenn sie ihre anfänglichen Schwierigkeiten hatte. Schnell erfuhr ich, dass die Serie auf der Buchreihe des polnischen Autors Andrzej Sapkowski basiert, und war fasziniert. Bislang kannte ich Fantasy nur mit Originalsprache Englisch. Ob sich das Polnische, also die Sprache und die Kultur, die Legenden, die unweigerlich sicher mit einfließen, auf die Serie und den Schreibstil selbst in der übersetzten Variante noch auswirken?
(Ja, solche Fragen stellt man sich, wenn man Übersetzungswissenschaften studiert hat. Jedes Mal, wenn ich ein Buch auf Englisch lese, formuliere ich im Geiste interessante Satzkonstruktionen auf Deutsch um, obwohl ich schon seit einiger Zeit nicht mehr als Übersetzerin arbeite. Ich schätze, fünf Jahre Studium hinterlassen eben doch ihre Spuren. Aber ich schweife ab.)
Als ich dann noch erfahren habe, dass die Serie vornehmlich auf den Kurzgeschichtenbänden aufbaut, war ich natürlich hin und weg. Kurzgeschichten sind schließlich my jam, wie man so schön sagt. Mal abgesehen davon hatte ich in den letzten Monaten kaum einen normalen Roman fertig gelesen. Die Idee, mich in eine ausladende Fantasy-Reihe mit fünf Büchern zu vertiefen, widerstrebte mir.
Aber Kurzgeschichten? Damit kann ich was anfangen.
Ich hatte das Glück, mir „Der letzte Wunsch“ und jetzt auch „Das Schwert der Vorhersehung“ ausleihen zu können – und dass derjenige, der mir die Bücher ausgeliehen hat, es nicht krumm nimmt, dass ich ewig brauche, um sie zu lesen. Ja, zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich die Geschichten nicht so schnell lese, wie ich gerne würde. Teilweise liegt das auch am Stoff.
Holprig mit einer Spur zu viel Gewalt
„Das Schwert der Vorhersehung“ enthält sechs Kurzgeschichten und gleich die erste ist mir sauer aufgestoßen – sodass der Rest es irgendwie nicht mehr so leicht hatte, mich zu begeistern. Ich versuche es mal, so spoilerfrei wie möglich zu beschreiben:
Der Hexer Geralt schließt sich einer Gruppe unterschiedlicher Zeitgenossen an, um einen Drachen zu finden. Mit dabei sind Yennefer, Geralts (Ex-)Freundin, und Rittersporn, Geralts bester Freund. Im Laufe der Geschichte eskaliert die Situation und Yennefer werden von einem der Mitstreiter als Strafe für ihre Aufmüpfigkeit die Kleider aufgerissen und sie wird so nackt an einen Karren gespannt. Sowohl Geralt als auch Rittersporn sind ebenfalls außer Gefecht, können also nicht helfen – allerdings scheint besonders Rittersporn auch nicht daran interessiert.
Was mir an der Situation nicht gefällt, ist die Art und Weise wie Rittersporn sich über Yennefer lustig macht – und darüber dass sie „höchstens vergewaltigt“ wird, während er wahrscheinlich sterben muss. Ach so, und er wird eine „Ballade über zwei Titten“ verfassen.
Hm, okay. Nicht mein Fall.
Leider werden auch in den folgenden Geschichten immer wieder Anspielungen darauf gemacht, dass Frauen und Mädchen Opfer sexueller Gewalt werden und dies so normal in der Welt ist, dass keiner der Protagonisten etwas dagegen unternehmen will.
Es steht außer Frage, dass Fantasygeschichten oft viel Gewalt enthalten – schließlich werden da böse Biester abgemurkst. Aber ich bin es tatsächlich leid, Geschichten zu lesen, in denen die Gewalt an Frauen mit einer gewissen Selbstverständlichkeit präsentiert wird; und keine Besserung in Sicht ist. Ich finde, davon gibt es in der echten Welt genügend Beispiele.
Starke Frauen im Nachgang
Ich weiß, dass in der Pentalogie dann starke Frauenfiguren auftauchen. Das ist mir mittlerweile von vielen Seiten bestätigt worden, als ich meine Kritik anbrachte. Allerdings kann ich davon in dieser Anthologie nichts erkennen.
In einer anderen Geschichte wird eine Frauenfigur eingeführt, deren einzige Aufgabe ist, sich binnen weniger Sekunden in Geralt zu verlieben, ihn anzuschmachten und – obwohl sie ihn gerade einen Tag kennt – vor anderen seinen Charakter zu verteidigen. Sie hat Qualitäten und Fähigkeiten, die in dieser Geschichte nützlich sein könnten, aber sie darf sie nicht nutzen. Irgendwie langweilig.
Ein Favorit
Nur eine Geschichte konnte mich tatsächlich in den Bann ziehen.
„Ein Eissplitter“ handelt nur in der Nebensache von den mythischen Wesen und in erster Linie von der Dreiecksbeziehung zwischen Geralt, Yennefer und Istredd. Auf wenigen Seiten spitzt sich die Situation zu, denn beide Männer glauben, ein Anrecht auf Yennefers Liebe zu haben – und Yennefer kann oder will kein Entweder-Oder. Die einzige Lösung? Ein Duell…so glauben die Männer zumindest.
Leider nicht besser als die Adaption
Die sechs Kurzgeschichten stehen nur in einem lockeren Zusammenhang. Im Hexer-Universum ist es üblich, dass die Zeitstränge sich überschneiden und nicht chronologisch erzählt wird. Bei den Kurzgeschichten ist das kein großes Problem, denn am Ende steht jede Geschichte für sich. Leider konnte mich die Anthologie nicht überzeugen, mich hinterher in die Pentalogie zu stürzen – ich warte lieber auf die nächste Staffel der Serie.
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