
Seit Beginn des Jahres hatte ich Instagram nur noch sporadisch genutzt. Ich wusste nicht, was ich posten sollte. Schließlich lag meine letzte Veröffentlichung schon über ein Jahr zurück und es sah auch nicht so aus, als würde ich demnächst etwas neues veröffentlichen können. Ich war ausgebrannt, was das Schreiben anging und im Juni gestand ich mir endlich ein, dass ich auch ausgebrannt war, was das Posten anging.
Dass ich die App schließlich von meinem Handy löschte, hatte aber nichts mit diesem Burn-Out-Gefühl zu tun.
Wann ich merkte, dass ich die App löschen muss.
Wer „Das Dilemma der sozialen Medien“ auf Netflix gesehen hat, oder wer auch sonst mit offenen Augen durch die Welt läuft, weiß sicher, dass die sozialen Medien nicht darauf ausgelegt sind, uns glücklich zu machen. Sie wollen unsere Aufmerksamkeit und die Konten, die Aufmerksamkeit am längsten binden, werden von der App natürlich auch mehr gepusht.
Ich verbrachte unheimlich viel Zeit auf Instagram, und wurde dadurch immer deprimierter. Der Entdecken-Tab war mein Abgrund: Hier werden Beiträge angezeigt, die auf dein eigenes Suchverhalten ausgelegt sind. Je mehr du dir von einer Sorte Posts ansiehst, desto mehr Posts von dieser Sorte bekommst du zu Gesicht.
Und so scrollte ich stundenlang durch Screenshots von AITA-Reddit-Posts (die mich aufregten), düstere Nachrichten über Corona (was mich nervte), peppige „Das-könnt-ihr alles-mit-euer-neuen-Freizeit-anfangen“-Posts (was mich unter Druck setzte) und Informationen zu Protesten aus den USA (wodurch ich mich hilflos fühlte).
Und ich konnte nicht aufhören.
Ich scrollte, regte mich auf, scrollte weiter, regte mich weiter auf und schloss die App schließlich mit einem miesen Gefühl im Bauch, nur um sie keine zwei Minuten später wieder zu öffnen und das Spiel von vorn beginnen zu lassen.
Ich hatte zwar eine Nutzungswarnung für die App eingestellt, die bei 30 Minuten am Tag lag, allerdings ignorierte ich das geflissentlich. Ich nahm mir vor, nicht mehr so oft zu scrollen, sondern nur durch die Accounts zu schauen, denen ich folgte. Doch ich folgte ja absichtlich wenigen Leuten, um nicht so viel Zeit auf der App zu verbringen, sodass ich dann doch wieder beim „Entdecken“ landete.
Ein Teufelskreis, den ich schließlich nur noch dadurch lösen konnte, die App vollständig zu löschen.
Es fühlte sich gut an und ich hatte sofort das Gefühl, freier atmen zu können. Ich nahm mir vor, jede Woche am Sonntag einen Beitrag zu posten, „nur so“ oder vielleicht, um ein bisschen über die Pause zu berichten. Ich muss gestehen, diese Entscheidung lag in meiner Angst begründet, dass ich untergehen würde, wenn ich mich nicht wenigstens ein bisschen aktiv zeigte. Der Algorithmus und so.
Gesagt, getan, und – natürlich – auf Instagram verkündet.
Erster Gegenwind
Kaum hatte ich den Beitrag zu meiner geplanten Pause gepostet, bekam ich eine Nachricht von einem Bekannten. Sie lautete: „Ich glaube nicht, dass das funktioniert.“
Aha.
Okay.
Seine Argumentation war: So eine Pause ist ganz nett, wenn man sie macht, allerdings ist danach, wenn man wieder mit Instagram anfängt, alles wieder wie vorher. Wir diskutierten eine Weile über unser individuelles Nutzungsverhalten – was, zugegeben, sehr unterschiedlich ist – und ich brach die Konversation irgendwann ab. Ehrlich gesagt fand ich seinen Kommentar sehr ernüchternd. Schließlich ist Instagram mein Hauptwerkzeug für Marketing und Vernetzung; ich wollte es nicht so einfach aufgeben, aber so wie es jetzt lief, konnte ich es auch nicht weiter nutzen.
Ich war sicher: Nach der Pause wird alles anders.
Meine Ziele mit der Pause
Ich hatte mir keine genauen Ziele gesetzt, sondern alles eher schwammig formuliert, aber ich kann noch ganz gut meine Hoffnungen zusammenfassen. Ich wollte:
- Den Drang, die App ständig zu öffnen, loswerden
- Den Entdecken-Tab intuitiv meiden können
- Wieder mehr von den Leuten sehen, denen ich folge
- Mich von den Beiträgen, die ich sehe, inspirieren statt demotivieren lassen
Ich hatte schon Wochen davor ein paar Dinge getan, um das zu erreichen: Ich war Accounts entfolgt, die mich nur herunterzogen und aufregten, und hatte andere auf stumm geschaltet. Ich hatte versucht, Hashtags zu folgen wie #bookstagram oder #buchliebe oder #kurzgeschichten, um mehr Content zu sehen, den ich eigentlich sehen wollte. Um es vorweg zu nehmen: Das sind alles legitime Schritte zum Ausmisten, aber es hat nicht gereicht.
Woche 1 – Nur mal schnell die App öffnen
Da ich jeden Sonntag einen Beitrag veröffentlicht hatte, habe ich jetzt kleine Anhaltspunkte, die ich teilen kann. Am ersten Sonntag schrieb ich:
Eine Woche ohne Instagram. Und es ist verrückt, wie oft ich „nur mal schnell“ die App öffnen und was nachschauen wollte. Wie oft ich mein Handy in der Hand hatte, weil mir langweilig war und ich tatsächlich einfach nur scrollen wollte. Ich fand das ein bisschen beunruhigend, weil ich Instagram ja eigentlich mit einem Ziel begonnen habe. Und das war definitiv nicht „ein bisschen scrollen“.
Ich habe also gleich direkt gemerkt, wie sehr dieser Drang, die App zu öffnen, mein Leben beherrschte. Im Englischen gibt es dafür wohl den Begriff „twitch“, also ein unkontrolliertes Zucken und genauso fühlte es sich an. Handy in die Hand, durch die Apps geschaut und festgestellt, wonach ich suchte, Handy wieder aus der Hand gelegt.
Woche 2 – Was Neues ausprobiert
In dieser Woche habe ich entdeckt, dass es Hörbucher auf Spotify gibt und mich direkt in das erste gestürzt: Was Weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten von Alice Hasters. Als Taschenbuch war es vergriffen, und ich wollte es nicht als eBook kaufen (weil ich aktuell das große A zu meiden versuche).
Ich hatte vorher nicht viel mit Hörbüchern am Hut, weil ich schnell abgelenkt bin, wenn ich dann nebenbei versuche, etwas zu machen. Aber das hat mich gefesselt und ich habe es direkt geteilt.
Dafür, dass ich zu der Zeit sehr wenig gelesen habe, war das der Erfolg der Woche.
Woche 3 – Entspannung
Am dritten Sonntag habe ich über Cupcakes gesprochen, die ich gebacken hatte. Ich habe wieder Freunde besucht und kann mich erinnern, generell sehr ausgeglichen gewesen zu sein.
Woche 4 – Hello Again
Woche 4 meines Instagram-Experiments ist zu Ende. In der letzten Woche habe ich schon wieder ein wenig mehr Zeit auf Instagram verbracht, war wieder fast täglich online, und trotzdem fühlt es sich nicht so an wie vorher.
Ich erlaubte mir, Instagram wieder im Browser zu benutzen. Ich versuchte, viel bewusster damit umzugehen. Und: Ich hatte ein paar Ideen. Mein kreativer Brunnen schien sich langsam zu erholen.
Woche 5 – (Vorerst) Ende der Pause.
Anderthalb Wochen später beendete ich meine Pause. Ich sprudelte fast über vor Energie, und da ich mir pünktlich zur Pause einen neuen Planer gekauft hatte, führte ich meine geliebten To-Do-Listen und got shit done.
Ich fühlte mich gut. Absolute Hochphase, wie ich sie schon seit bestimmt einem Jahr nicht mehr gehabt hatte.
Ich hatte das erreicht, was ich erreichen wollte:
- Distanz gewonnen
- Entdecken-Tab aussortiert
- App-Öffnen-Twitch abgelegt
- Accounts, denen ich folgte, neu sortiert und ausgemistet
Hah, dachte ich mir, hatte mein Bekannter doch nicht recht.
Okay, das war im Juli. Jetzt haben wir November.
Hätte ich den Beitrag eher geschrieben, käme jetzt nichts weiter. Ich war happy, euphorisch, hatte alles erreicht.
Aber: In den vergangenen vier Monaten ist eine Menge passiert. Nicht nur Positives.
Ich gebe zu, die Distanz, die ich zu der virtuellen Welt aufgebaut hatte, ist nach ein paar Wochen verpufft. Sie hat erstaunlich lange angehalten, aber Stück für Stück wurde ich wieder reingezogen. Plötzlich ist es wieder wichtig, wie viele Kommentare und Likes ich bekomme, plötzlich vergleiche ich mich wieder mit anderen und ihren Veröffentlichungen und langsam aber sicher sieht mein Entdecken-Tab wieder genauso aus wie vor der Pause.
Und leider hat er auch genau den gleichen Effekt.
Da ich jetzt weiß, dass die App der Auslöser ist und ich weniger scrolle, wenn ich sie im Browser nutze, schmeiße ich Instagram jetzt regelmäßig von meinem Handy. Anfangs habe ich es jedes Mal installiert, um zu posten und Beiträge in meinen Stories zu teilen, und anschließend wieder gelöscht. Aber es ist zu leicht, die App nicht zu löschen und dann in alte Muster zu fallen, deshalb poste ich mittlerweile auch über den Browser und bereite Beiträge in einer anderen App vor.
War also doch sinnlos. Oder nicht?
Habe ich meine Ziele mit der Pause erreicht? Auf lange Sicht nicht, nein. Aber das heißt nicht, dass ich nichts damit erreicht habe. Denn das habe ich:
- Ich habe neue Ideen für Projekte gefunden und ein paar davon in Angriff genommen.
- Ich habe gelernt, mich zu beobachten und den Punkt zu finden, an dem ich wieder eine Pause brauche.
- Ich habe den Mut, Instagram einfach zu löschen und ein paar Tage alles zu verpassen.
- Ich habe einen Plan für meinen eigenen Instagram-Feed gemacht.
Vielleicht waren meine ursprünglichen Ziele auch einfach falsch. Die App wird ständig daraufhin optimiert, die Aufmerksamkeit der Nutzer so lange wie möglich zu binden. Ein bisschen illusorisch, dass ich mit ein paar Wochen Abstand plötzlich eine absolute Meisterin darin bin, den Psychotricks zu widerstehen. Habe ich „Das Dilemma der sozialen Medien“ schon erwähnt? Schaut es euch an.
(Ja, die Doku hat auch viel Kritik bekommen, weil sie sehr einseitig berichtet und viel dramatisiert. Das ist teilweise berechtigt, aber es veranschaulicht das Problem und es werden viele Punkte gerade aus psychologischer Sicht beleuchtet, die jeder selbst reflektieren sollte.)
Das Wort zum Schluss … zum Algorithmus.
Aus aktuellem Anlass kann ich zum Schluss noch ein wenig zum Algorithmus plaudern. Gerade unter den Leuten, die Instagram für ihr Business nutzen, ist der Algorithmus die höchste Instanz. Er entscheidet darüber, welche Beiträge überhaupt angezeigt werden und welche sang- und klanglos in der Versenkung verschwinden.
Und gerade jetzt trifft es wieder viele hart, denn der Algorithmus wurde anscheinend angepasst und viele berichten, dass ihre Reichweite massiv eingebrochen ist.
(Der Vorteil daran, wenn man eh kaum Reichweite hat: Sie kann nicht einbrechen. Ätsch.)
Instagram, die App, kann von heute auf morgen entscheiden, dass dein Content nichts mehr wert ist. Dass deine Bilder nicht mehr spannend genug sind um die Leute bei der Stange zu halten, dass deine Follower nicht genügend mit dir interagieren. Eine Autorin, der ich folge, hat sogar einen komplett neuen Account angelegt, weil ihre Reichweite so eingebrochen ist, und überall wird davon geredet, dass man als Follower Beiträge speichern und in seinen Stories teilen soll, damit sie sichtbarer werden.
Alles legitim, aber mit etwas Abstand betrachtet stellt sich mir die Frage: Will ich das? Will ich der Programmierung hinterher hechten und so viel Zeit in eine App stecken, die in ein paar Monaten wieder mit etwas Neuem um die Ecke kommt?
Nö.
Ich will den sozialen Aspekt: mich mit anderen austauschen, über Bücher und Geschichten reden, Buchempfehlungen finden, ein bisschen Alltag mit reinbringen. Spaß haben.
Und das kann ich bewusst tun, indem ich Accounts suche, die mich inspirieren, mit Leuten auch mal direkt quatsche und nicht nur über die Kommentar-Funktion. Und all das ohne dass ich die App installiert habe und regelmäßig drin versacke.
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