
Toms Auto liegt im verschneiten Straßengraben und er ist auf dem Weg in das nächste Dorf von einem freundlichen Fremden gefunden worden. Dieser lädt ihn ein, zumindest die Nacht bei ihm zu verbringen. Das Auto würden sie am nächsten Morgen retten.
Tom hat den Unfall geplant. Er ist auf einer Mission. Doch die gestaltet sich schnell wunderlicher und unmöglicher, als er erwartet hat.
Lesedauer: ca. 17 Minuten
Tom erwachte, weil das Brummen des Motors verstummt war.
„Wir sind da“, sagte Rupert und zeigte grinsend auf das große, erleuchtete Haupthaus vor ihnen. Rupert war der Mann, der Tom vorhin auf der verschneiten Landstraße aufgesammelt hatte. Es war zu spät, um einen Abschleppwagen für Toms Auto zu holen. Es würde die Nacht in dem Straßengraben verbringen müssen, in den Tom es vorhin gelotst hatte.
Rupert hatte angeboten, dass Tom eine Nacht in seinem Gästehaus verbringen konnte. Den Abschleppwagen würden sie morgen holen. Tom, durchgefroren nach einer halben Stunde Fußmarsch, hatte dankbar eingewilligt.
Er war zu schnell gefahren. Callie hatte ihn immer davor gewarnt und sie hatte recht gehabt. Aber Callie war nicht hier um ihn darauf hinzuweisen.
Im Haus duftete es wunderbar nach Essen. Eine kleine blonde Frau stand am Herd und lächelte breit, als sie Tom erblickte.
„Sie müssen ja völlig durchgefroren sein. Im Bad liegen ein paar Handtücher. Duschen Sie erstmal. Ich bin übrigens Iris, Ruperts Frau. Er hat Ihnen sicher das Ohr abgekaut auf der Fahrt hierher.“
Während sie redete, schlich sich Rupert an ihr vorbei zum Topf. Sie drehte sich blitzschnell um und schlug ihm auf die Finger.
„Es wird gegessen, wenn alle soweit sind“, schimpfte sie, doch ihre Stimme hatte einen sanften Unterton. Neben ihrer kleinen Statur sah Rupert noch riesiger aus. Er hatte einen weißen Bart und einen dicken Bauch. Seine rote Latzhose war auf dem letzten Zentimeter Band geschnürt.
Er war genau der Mann, den Tom gesucht hatte.
Tom entschied sich für die Dusche. Er war länger auf der Landstraße unterwegs gewesen als er erwartet hatte. Irgendwie war er davon ausgegangen, dass jemand wie Rupert ihn schon eher finden würde. Erst jetzt im warmen Haus kehrte das Gefühl in seinen Händen zurück und verriet etwas von der Kälte, die sich in ihm breit gemacht hatte.
Vielleicht musste das aber auch so sein. Vielleicht war es wichtig, dass Tom fast erfroren war, wenn Rupert ihn fand. Vielleicht machte es das einfacher.
Aber Tom wollte ihm nichts einfach machen.
Er hatte das alles viel zu lange geplant.
Das Essen roch noch fantastischer, als er aus dem Bad kam. Rupert saß bereits am Tisch und las eine Zeitung. Auf der ersten Seite stand eine Vermisstenanzeige.
Genau wie letztes Jahr.
„Setzen Sie sich“, brummte Rupert. „Iris meint es ernst, wenn sie sagt, dass wir erst essen, wenn alle am Tisch sitzen. Und ich habe Hunger.“
Tom brachte ein Lächeln hervor und setzte sich. Iris hatte Nudeln mit Tomatensoße gekocht. Es roch genauso, als ob Callie gekocht hätte. Ein bisschen Chili lag in der Luft.
Aber Tom kannte die Regeln. Er schob die Nudeln von einer Seite auf die andere.
„Schmeckt es Ihnen nicht?“ fragte Iris besorgt. Sie hatte ihm den Teller besonders voll geschaufelt. Sie wollte ihn verführen mit dem Geruch seines Lieblingsgerichts.
„Doch, doch“, wiegelte Tom ab und blitzte sein vertrauensseligstes Lächeln hervor. „Es schmeckt ausgezeichnet. Aber mir ist der Hunger ein wenig abhanden gekommen. Der Schreck… Es ging ja alles so schnell.“
Iris runzelte die Stirn, doch sie schien sich mit der Ausrede zufrieden zu geben. Das war leichter als gedacht.

Du willst wissen, wie es weiter geht?
Was hat Tom mit dem scheinbar so gutmütigen Ehepaar vor?
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Neun Kurzgeschichten. Für abends. Für morgens. Oder Zwischendurch.
Das ist die wohl schönste Weihnachtsgeschichte, die ich je gehört oder gelesen habe, und ich habe wirklich schon viele Weihnachtsgeschichten gehört und gelesen. Spannend, natürlich wie immer etwas skurril aber dennoch was fürs Herz.
In den dunklen Monaten eben mal etwas Licht 🙂 Schön, dass sie Dir gefällt!
Oh wow! Du hast dich selbst übertroffen!
Erst denkt man, ok, eine Selbstmord-Geschichte (zu Weihnachten ist die Selbstmordrate ja am höchsten), dann wendet sich das Blatt und ist über das skurrile verwundert und man kann nicht aufhören zu lesen und dann kommt man dahinter!
Das ist ein sehr tröstlicher Gedanke, dass die Toten nach ihrem Ableben noch eine erfüllende Aufgabe finden. Und was könnte erfüllender sein als dem Weihnachtsmann zu helfen?
Danke, liebe Luise! 🙂