Ich sollte grundsätzlich nicht ans Telefon gehen, wenn ich nicht weiß, wer dran ist. Und ich sollte grundsätzlich nichts tun, was mir ein Unbekannter nachts am Telefon ins Ohr flüstert. Aber ich konnte nicht anders. Nicht, wenn er die richtigen Dinge flüstert…
Lesedauer ca. 12 Minuten
Ich bin schon etwa fünf Sekunden wach, bevor mein Telefon klingelt. Die Luft in meinem Zimmer steht, obwohl ich alle Fenster geöffnet habe. Die Gardinen bewegen sich langsam mit dem Luftzug, der leider nur die Wärme von draußen mit hinein bringt. In der Dunkelheit leuchtet das Display und blendet meine Augen. Ich sehe nicht, welche Nummer anruft, und nehme trotzdem ab.
„Was?“, frage ich schroff.
Am anderen Ende der Leitung höre ich ein röchelndes Atmen. Ich bereue, ans Telefon gegangen zu sein. Was zur Hölle?
„Lia.“ Die Stimme, die plötzlich in mein Ohr haucht, klingt vertraut. Aber ich bin mir sicher, dass ich sie noch nie gehört habe. „Gut, dass du wach bist. Ich brauche deine Hilfe. Bring die Critter.“
„Was?“, frage ich wieder, dieses Mal nicht ganz so schroff. Was soll das denn? „Sie haben die falsche Nummer.“
Am anderen Ende seufzt die Stimme.
„Bestimmt nicht.“ Ich höre ein Rascheln, und dann: „Ach so. Der Stern steht im Saturn.“
Ein Klicken verrät mir, dass der Anrufer aufgelegt hat.
Ich setze mich im Bett auf und suche nach meinen Schuhen.
Meine Füße bewegen sich wie von selbst. Die Treppe hinunter, auf die Straße, um die Ecke. Nach wenigen Minuten bildet sich ein Schweißtropfen in meinem Nacken, der sich langsam einen Weg zwischen meinen Schulterblättern nach unten bahnt. Er kitzelt und ich möchte ihn weg wischen, doch meine Hände wollen dem Befehl meines Gehirns nicht gehorchen.
Selbst jetzt im November ist es in der Stadt unerträglich warm. Der Beton scheint die Hitze, mit der er sich tagsüber vollsaugt, nachts förmlich in die Straßen zu atmen. Straßen, die viel zu eng sind, um eine ordentliche Belüftung zuzulassen.
Außerhalb der Stadt ist das anders. Da, wo ich aufgewachsen bin, trägt man bestimmt schon einen Wintermantel und Stiefel, keine Shorts. Aber da, wo ich aufgewachsen bin, setzt man um diese Uhrzeit auch keinen Fuß vor die verriegelte Tür.
Habe ich meine Wohnungstür eigentlich abgeschlossen? Ich kann mich nicht erinnern, sie zu gemacht zu haben.
Was mache ich überhaupt hier?

Du willst wissen, wie es weiter geht?
Mit wem trifft sich Lia nachts?
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Mal wieder eine außerordendlich außerirdische Geschichte. Oder sind wir vielleicht gar nicht mehr so weit weg davon, dass Maschinen, egal ob ganz oder nur halb humanoid, unser Leben bestimmen? Also aufpassen Leute, die Technik darf den Menschen zwar unterstützen aber niemals bevormunden!!!
Ich danke der Schreiberin, dass sie für uns das so schön herausgefiltert hat, was quasi schon zwischen unseren Lebenslinien herumwabbert.