
Seit ihrer Divergent-Trilogie („Die Bestimmung“) ist Veronica Roth eine meiner liebsten Autorinnen. 2015 gab es von ihr abgesehen von der Trilogie leider nicht viel zu lesen, nur eine Kurzgeschichte namens „Hearken“, die sie in einer Anthologie veröffentlicht hatte. Die musste ich natürlich sofort kaufen, lesen und für gut befinden, nur um danach noch enttäuschter zu sein, dass es nicht mehr Geschichten von Roth auf dem Markt gab.
Ich hatte mir die Anthologie „Shards and Ashes“ für meinen damaligen eReader gekauft – dachte ich zumindest. Denn jetzt kann ich sie leider nicht mehr finden.
Zu Beginn diesen Jahres habe ich den ersten Teil ihrer Dilogie „Carve the Mark“ gelesen und festgestellt, dass sie nun selbst eine Anthologie veröffentlicht hat:
The End and Other Beginnings: Stories from the Future
The End and Other Beginnings von Veronica Roth (Amazon)*
Auf 270 Seiten teilt sie 6 bzw. 7 Kurzgeschichten mit der Welt. Ich sage „6 bzw. 7“, weil es offiziell nur 6 Geschichten sind, aber eine davon zwei Teile hat, die unabhängig von einander gelesen werden können. Zwei der Geschichten stammen aus dem Universum, in dem auch „Carve the Mark“ spielt, allerdings hatte ich nicht das Gefühl, dass man die Bücher gelesen haben muss, um die Geschichten zu verstehen oder zu genießen. Im Gegenteil, den Protagonisten aus der zweiten Geschichte, einen Jungen namens Otho, habe ich selbst noch nicht kennen gelernt, da ich bislang nur das erste Buch gelesen habe – und trotzdem habe ich gebannt mit jeder Zeile verfolgt, was mit ihm passiert.
Alle Geschichten sind futuristisch im Bereich der Science Fiction angelegt. Manche mehr, manche weniger nah an der jetzigen Welt. Und, Gott sei Dank, ist auch „Hearken“ dabei – und das ist eine der beiden Kurzgeschichten, die ich euch ein wenig näher vorstellen möchte.
„Inertia“
Gleich die erste Kurzgeschichte schickt den Leser auf eine besondere Reise. Die Protagonistin Claire wird nachts geweckt, damit sie eine besondere Aufgabe erfüllt: Ihr ehemals bester Freund hatte einen Unfall und die Chancen für sein Überleben stehen schlecht. Sie ist eine von zwei Personen, die mittels VR mit dem Komatösen Zeit verbringen kann. Ein letzter Besuch sozusagen.
Stück für Stück führt Roth den Leser durch die Beziehung der beiden, und enthüllt behutsam die Probleme, die nicht nur die Freundschaft, sondern auch Claire selbst hat. Matt und Claire gehen zusammen auf eine Reise in ihre Vergangenheit, kommentieren Erlebnisse und sehen sie von der anderen Seite.
Gerade das macht die Geschichte so spannend, weil so viel auf dem Spiel steht, aber irgendwie alles hoffnungslos scheint. Sie würden das nicht tun, wenn Matts Überlebenschancen nicht so katastrophal wären.
In der Geschichte greift Roth wie selbstverständlich das Thema „mental health“ auf, beleuchtet es behutsam und ehrlich zugleich. Es passte gut, dass ich erst kürzlich ein Essay von ihr gelesen habe, in dem sie von ihren eigenen Erfahrungen mit Antidepressiva spricht: What I Learned From Being Off My Anxiety Meds in a Pandemic Der Beitrag ist es wert, gelesen zu werden.
Die Geschichte wirft viele Fragen auf: Wer ist „der Böse“? Wie geht man damit um, nur noch eine halbe Stunde mit einer Person zu haben? Was bedeutet es, zu leben?
„Hearken“
Mein heimlicher Favorit. Hearkener sind Personen mit perfekten Gehör, die mittels eines Implantats die Biowellen anderer Menschen wahrnehmen und so deren Lebens- oder Todesmusik hören können. Darya steht vor genau dieser Frage: Denn die Entscheidung, ob man als Hearkener Lebens- oder Todesmusik hört, ist permanent. Ihre Schwester möchte, dass Darya sich für den Tod entscheidet, damit sie die Musik ihrer sterbenden Mutter aufnehmen kann. Doch Darya hatte nie ein gutes Verhältnis zu ihrer Mutter – im Gegenteil.
Warum treffen wir Entscheidungen? Was sind wir anderen schuldig oder sind wir es überhaupt? Was bedeutet Leben und Tod? Und welche Verantwortung übernimmt man, wenn man eine solche Entscheidung trifft?
Roth schafft es mit wenigen Worten, die Beziehungen der Figuren untereinander zu zeichnen. Die Geschichte lässt viele Fragen offen, das Konzept an sich ist so wild, dass ich gern mehr darüber erfahren würde. Und genau das tut eine gute Kurzgeschichte. Sie macht Lust auf mehr.
Fazit
Die Geschichten sind wundervoll für Zwischendurch. Wer die „Carve the Mark“ Bücher gelesen und gemocht hat, wird sich sicher über die beiden Geschichten besonders freuen. Ich fand vor allem Akos‘ Geschichte sehr gut, die erzählt, wie er seine Rüstung bekommt. Veronica Roth hat einen super Schreibstil und die Knappheit der Geschichten tun ihr sogar gut, wie ich finde. Was ich im „Carve the Mark“ Universum als zu viel wahrgenommen habe, nämlich die ausufernde Beschreibung der Welt, Politik, Religion und Technologie, wurde hier nur angerissen und hat für mich besser gepasst.
Das Buch ist zudem gespickt mit Zeichnungen zu jeder einzelnen Geschichte und diese allein sich so wunderschön, dass sich der Kauf lohnt.
Das Buch gibt es bislang nur in englischer Sprache als eBook, Hardcover, Taschenbuch und Audiobook zum Beispiel auf Amazon*.
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