
Ich schieße mir wahrscheinlich gerade in den Fuß.
Oder – nein, das ist die falsche Metapher. Sich in den Fuß zu schießen geht recht schnell, der Schmerz bleibt zwar eine Weile, aber die Handlung an sich ist kurz. Diesen Artikel zu schreiben, dauert länger. Ich habe – nein, hätte – viel Zeit, mir zu überlegen, ob ich das wirklich veröffentlichen will. Ob ich mir die Blöße geben will, ob ich das öffentlich machen will, was in meinem Kopf passiert.
Oder ob ich lieber sang- und klanglos in den Tiefen des Internets untergehen will, in der Hoffnung, dass niemand es bemerkt.
In diesem Sinne steckt mein Fuß gerade eher in einem Schraubstock und mit jedem getippten Wort drehe ich ihn fester.
Ja, das ist die richtige Metapher, denke ich.
Aber, anyway. Ich schreibe diesen Artikel über das, was ich falsch gemacht habe. Ich sehe darin nicht sonderlich gut aus. Im besten Fall wirke ich naiv, im schlimmsten womöglich arrogant. Das ist keine gute Werbung für meine Person, oder für meine Bücher. Aber, seien wir ehrlich, Mit Werbung habe ich es ohnehin nicht so am Hut.
Die Reise, kurz zusammen gefasst.
Seit über einem Jahr ist auf diesem Blog nichts passiert. Seit Ende 2019 habe ich auch nichts auf Instagram gepostet – und das sind nur die beiden öffentlichen Zeichen für das, was gerade in meinem Autorenleben passiert: nämlich nichts.
Ich habe es geschafft, mir selbst das Schreiben, das Erfinden und Teilen von Geschichten und Ideen, madig zu machen. Und zwar so richtig – so, dass ich keinen der Entwürfe, über die ich hier gesprochen habe, tatsächlich überarbeitet oder zu Ende geschrieben habe. Stattdessen ist mir letztes Jahr irgendwann der Stift aus der Hand gefallen und seitdem sträubt sich mein Inneres, ihn auch nur anzusehen.
Natürlich habe ich es versucht. Ich habe Ideen niedergeschrieben, so wie ich es auch schon vor vier Jahren gemacht habe – nur ist anders als vor vier Jahren keine Kurzgeschichtensammlung daraus geworden, nicht einmal eine einzige Geschichte. Ich habe mir kleine Wortziele gesteckt, wollte Mikrogeschichten schreiben – und habe genau eine geschrieben, bevor es mir wieder zu viel wurde. Ich habe über das Schreiben geschrieben, über die Projekte, die ich angefangen habe und warum ich dafür brenne, auf welche Szenen ich mich freue, was ich mit den Geschichten sagen will. Ich habe sogar über mich als Autorin geschrieben, was ich erreichen will, was Erfolg bedeutet, wie ich das in meinen Alltag integrieren will.
Das sind alles wunderbare Ansätze, die mir empfohlen wurden. Ansätze gegen die Schreibblockaden, Ansätze für das „Life Design“.
Aber nichts hat geholfen.
Ich denke, dass ich diese Sache falsch angegangen bin. Denn die Ansätze sind alle sinnvoll, wenn man gerne schreibt. Sie helfen dabei, die Ängste zu überwinden oder Klarheit zu finden, sich durchzuringen und den Hintern endlich in den Stuhl zu packen und loszutippen.
Sie helfen allerdings leider nicht dabei, diesen Brechreiz zu heilen, der mich jedes Mal überkommt, wenn ich jemanden auf Instagram darüber reden sehe, dass man nur jeden Tag schreiben muss oder – und das gebe ich sehr ungern zu, weil es einen Teil meiner Persönlichkeit darstellt, auf den ich nicht stolz bin – wie toll es ist, dass man jetzt endlich demnächst sein Buch veröffentlicht und vom Schreiben leben kann und wie grandios jetzt alles ist.
Es ist gerade dieser letzte Teil, diese fiesen, missgünstigen Gedanken, die mich haben aufschrecken lassen. Wenn ich anderen Menschen, die hart gearbeitet haben und sich gerade einen Traum erfüllen oder wenigstens ein selbst gestecktes Ziel erreichen, ihren Erfolg nicht gönnen kann, dann stimmt etwas ganz gehörig nicht mit mir.
So eine Person möchte ich nicht sein.
Leider liegt noch ein großes Stück Weg zwischen der Feststellung, „so möchte ich nicht sein“ und dem Handeln, nicht so zu sein. Das erfordert Arbeit, Einsicht, Selbstreflektion und Wissen, das mir schlichtweg fehlte in den letzten Monaten. Und, ehrlicherweise, hatte ich noch andere Dinge auf meiner To-Do-Liste, die ich priorisiert habe. Statt an mir zu arbeiten, habe ich mich zurück gezogen. Ich entfolgte allen Accounts in den sozialen Medien und stürzte mich kopfüber in ein völlig anderes Thema, das monatelang meine Zeit beanspruchte.
Aber jetzt? Jetzt habe ich Zeit. Oder zumindest Gelegenheit.
Ich schreibe diesen Artikel im April 2020, drei Tage nach meinem 32. Geburtstag und mitten in der Corona-Pandemie, aufgrund der ganz Deutschland und der Rest der Welt zu Hause bleiben. Es gibt Kontakteinschränkungen, das öffentliche Leben liegt quasi brach und in den sozialen Medien wird das Ganze mit dem Hashtag #stayhome inszeniert.
Allerdings heißt das nicht, dass ich plötzlich mehr Zeit habe. Ich gehöre zu den Glücklichen, die ihre Arbeit aus dem Home Office erledigen können – 40 Stunden pro Woche sitze ich an meinem Küchentisch und mache genau das, was ich sonst auch mache. Ich versuche auch, meinen Rhythmus größtenteils beizubehalten, mache Sport und lerne Schwedisch.
Und doch hat diese Ausnahmesituation etwas ausgelöst. Denn wenn ich meinen Tagesablauf strukturiere, plane, wie lange ich es aushalte, nicht einkaufen zu gehen, und meine To-Do-Listen schreibe, möchte ich unweigerlich auch immer „Schreiben“ mit drauf setzen. Und doch, als ich es letzte Woche versuchte, gab es wieder das gleiche Problem:
Alles in mir, jede einzelne Faser, scheint sich vehement zu sträuben. Ich versuche, wieder da anzusetzen, wo ich aufgehört habe und stelle fest, dass vielleicht genau das der falsche Ansatz ist. Dass ich vielleicht erst einmal diesen Artikel schreiben muss – für mich selbst, um mir klar zu werden, was ich falsch gemacht habe. Was ich anders machen will. Was genau denn nun eigentlich das Problem ist.
Gestern habe ich einen Funken gefunden. In meinem Versuch, wieder Inspiration zu finden, habe ich nach Autorenratschlägen auf YouTube gesucht, und bin dabei auf ein Video gestoßen, in dem jemand einen etwa 20-minütigen Rant über einen Authortuber abgelassen hat. Es war kurz vor Schlafenszeit und ich habe drauf geklickt, weil ich die Person, um die es da ging, kannte und ihr lange Zeit auf YouTube gefolgt war. In den 20 Minuten, die nicht perfekt und sicherlich auch ein wenig aufmerksamkeitsheischend waren, kamen plötzlich ein paar Punkte auf, die mich haben aufhorchen lassen. Ich werde an dieser Stelle weder das Video noch die entsprechende Person verlinken, weil das nur stellvertretend für einige Dinge steht, die mir dadurch klar geworden sind.
Als ich 2015 Words I Weave aus dem Boden gestampft habe, schrieb ich noch auf Englisch und tauschte mich mit meinem damals besten Freund aus den USA darüber aus. Wir haben beide oft Podcasts wie EscapePod oder Drabblecast gehört, in denen kurze Geschichten vorgelesen wurden – und mir war klar, ich will mehr schreiben.
Ich habe schon immer Geschichten geschrieben – oder angefangen – habe gerne gelesen und mich in anderen Welten verloren. Es gab auch immer diesen fernen Wunsch, irgendwann mal ein Buch zu schreiben und als neue J.K. Rowling die Bestseller-Listen anzuführen. Sollte ich an diesem Punkt etwas zum Thema Naivität sagen, damit klar wird, wie viel weiser ich heute bin und wie verrückt dieses Ziel war? Ich tue es nicht, denn ich glaube, das ist Teil des Problems. Also: Ich wollte die neue J.K. Rowling werden.
Ich erstellte also diesen Blog und nahm mir vor, jeden Monat eine kurze Geschichte zu veröffentlichen. Zeitgleich fand ich über die Podcasts noch viele andere Podcasts zum Thema Schreiben und Veröffentlichen (unter anderem den Self-Publishing Podcast der mittlerweile unter dem Namen Story Studio Podcast agiert, sowie The Creative Penn) und tauchte immer tiefer in diese Welt ein. Mehr noch, nachdem ich mich Wochen und Monate damit beschäftigt hatte, war mir klar:
Meine Kurzgeschichten sind der erste Schritt in die Veröffentlichung.
Für englischsprachige Kurzgeschichten gab es zu dem Zeitpunkt zahlreiche Magazine und Podcasts, die regelmäßig neues Material gesucht haben. Ich versuchte mein Glück bei diesen Anlaufstellen, schrieb Geschichten und schickte sie ein. Ohne Erfolg.
Aber, so sagte ich mir am Ende des Jahres: Mein Ziel mit dem Blog war ja nicht die Veröffentlichung. Ich wollte mehr schreiben und das hatte ich irgendwie auch geschafft. Und dann kam die Erkenntnis, dass ich diese englischen Geschichten mit nur wenigen Menschen aus meinem direkten Umfeld teilen konnte. Der Glaube an eine Veröffentlichung hatte sich so verstärkt, dass ich auch über Vernetzung, Buchmessen, Verlagsverträge und so weiter nachdachte – das machte sich doch viel besser in meiner Muttersprache und der Sprache meines realen Umfelds.
Doch Kurzgeschichten sind auf dem deutschsprachigen Markt nicht einmal annähernd so beliebt wie auf dem englischsprachigen. Mehr noch, sie werden oftmals belächelt. Ein weiteres Jahr verging, in dem ich meine ersten 6 Kurzgeschichten auf deutsch verfasste, die ich schließlich auch als Anthologie veröffentlichte. Unter der offiziellen Prämisse: Ich will wissen wie es geht.
Inoffiziell war ich mir zu dem Zeitpunkt sicher, dass ich Vollzeitautorin werden wollte – und würde. Die Podcasts und alles, was ich sonst zu dem Thema gelesen hatte, waren eindeutig: ich müsste nur oft genug und viel genug veröffentlichen, und das Einkommen war mir sicher. Ich würde endlich meinen Bürojob kündigen und allein von zuhause aus arbeiten können. Und das war doch das Ziel! Autor zu sein, bedeutete doch, dass man davon lebt!
Zeitgleich zuckte ich jedes Mal innerlich zusammen, wenn mich jemand als Autorin bezeichnete. Ich hatte doch nur ein paar Kurzgeschichten veröffentlicht, nichts Wichtiges. Das zählte doch nicht wirklich.
Dass mein erstes Buch also sofort in der Versenkung verschwand, lag zwar – und das wusste mein Kopf auch – daran, dass ich keine Werbung gemacht hatte, keine Rezensionsexemplare versendet hatte, ergo auch keine Rezensionen hatte, dass es mein erstes Buch war und dass Kurzgeschichten auf dem deutschen Markt tatsächlich einfach sehr schwer an den Mann zu bringen sind. Mein Bauch und die Ratschläge, die ich aufsaugte, allerdings waren sich sicher: Das ist erst der Anfang. Mehr schreiben ist die Devise, Augen zu und durch.
Ich schrieb im folgenden Jahr weitere 6 Kurzgeschichten, wie eine Maschine, trotz neuem Job und mehr Stunden, die ich dort verbringen musste. Und nebenbei schwor ich mir: Ich muss richtige Bücher schreiben. Richtige Autoren schreiben richtige Bücher. Also plante ich einen Roman und kündigte an, diesen in den kommenden Monaten schreiben zu wollen – die Kurzgeschichten für das Jahr hatte ich bereits alle fertig.
Das Roman-Projekt verwarf ich Monate später, nachdem ein Bekannter plötzlich verstarb. Die Protagonistin der Geschichte ist ein Reaper – ein Todesengel, der die Seelen Sterbender einsammelt – und das Thema Tod/Leben fühlte sich plötzlich nicht mehr so einfach an. Das war nicht das erste Mal, dass ich mit dem Tod eines Menschen konfrontiert wurde, aber es war der erste plötzliche, unerwartete Tod.
Ich suchte mir ein anderes Projekt, und kündigte erneut groß an, dass ich im folgenden Jahr 2018 keine Kurzgeschichten veröffentlichen würde. Ich wollte mich auf dieses Projekt konzentrieren, wollte schreiben, Ziele und Zeitpläne stecken. Ich wusste genau, ich musste veröffentlichen, um das gesteckte Ziel zu erreichen und die Zeitpläne wurden immer kürzer, je mehr ich mich informierte.
Auf Instagram folgte ich immer mehr anderen angehenden und aktiven Autoren, die ihre Schreibziele und -erfolge teilten. Ich sah, wie eine Autorin ein duales Studium absolvierte und morgens 5 Uhr aufstand, um zu schreiben, wie sie täglich vierstellige Wortzahlen bewerkstelligte und wie viele Projekte sie nebenbei jonglierte. Sie unterschrieb einen Agenturvertrag, verkaufte ein Buch an einen Verlag und verpflichtete sich zu einer Fortsetzung – beide Bücher sind mittlerweile erschienen und nebenbei hat sie drei Romane selbst veröffentlicht.
In derselben Zeit schaffte ich es nicht einmal, den ersten Entwurf meines Projekts richtig zu Ende zu schreiben. Stattdessen zeichnete sich immer mehr ab, wie sehr sich meine Einstellung zum Schreiben verändert hatte.
Der Grund für’s Schreiben kann sich ändern. Ziele ebenso.
Aus „ich will mehr schreiben“ wurde irgendwann „ich will veröffentlicht werden“ und daraus „ich will berühmt werden“ und daraus „ich will erfolgreich werden“ und „ich will Vollzeitautorin werden“ – und der Weg dahin war klar. Dennoch: Ich schaue jetzt mit mehr Abstand auf die Sache und merke, dass die letzten Iterationen meines Wunsches nur noch teilweise meine eigenen waren.
Das zweite Set Kurzgeschichten hat mich gelinde gesagt nicht glücklich gemacht. Ich habe sie getaktet und geschrieben und einen Zeitplan verfolgt. Ich habe erst kürzlich mal wieder in das Buch geschaut und war überrascht, welche Geschichten sich darin versteckt haben. Sie sind nicht schlecht, im Gegenteil: Ich habe sie wie kleine Diamanten empfunden, die ich aus den Untiefen meiner Vergangenheit ausgegraben habe. Aber ich erinnere mich vor allem daran, wie anstrengend ich den Schreibprozess empfunden habe. Wie viel Stress und Druck ich mir selbst gemacht habe in der Zeit.
Gründe und Ziele können sich immer ändern. Nein, nicht können, sie tun es sogar ganz sicher. Die Frage ist nur, warum? Ich weiß noch, dass ich Vollzeitautorin werden wollte, weil ich frustriert in meinem Job war. Weil ich als Angestellte Dinge vertreten musste, die ich nicht vertreten wollte – und weil der Job nicht die Erfüllung war, die ich suchte. Allerdings wechselte ich zu Beginn 2016 den Job und das löste zumindest ein paar meiner Probleme.
Ich erinnere mich auch, dass ich zu einer Lesung einer Autorin war und sie nebenbei erzählte, dass sie in diesem Jahr drei oder vier Bücher zu veröffentlichen hatte – alle vertraglich vereinbart – und dass sie eines davon innerhalb von fünf Wochen in Tag- und Nachtschichten runterschreiben musste, weil die Zeit fehlte. Das hat mich schockiert, nicht weil ich überrascht war, sondern weil ich ganz genau wusste, dass ich das für mich nicht wollte. Trotzdem war ich neidisch, trotzdem wollte ich das Ergebnis – nämlich mehrere veröffentlichte Bücher innerhalb eines Jahres, die gehypt und geliebt wurden.
Das war eine Autorin, die das Ganze in Vollzeit machte und die Tag- und Nachtschichten einlegen musste, um eine Deadline einzuhalten. Ihr Ergebnis hätte ich nie erreichen können, mit meinem Vollzeitjob und meiner fehlenden Erfahrung. Ich hätte dieses Pensum auch gar nicht absolvieren wollen. Aber die Stimme in meinem Kopf sagte etwas anderes.
Sich mit anderen vergleichen, ist schlecht. Sich mit den Falschen vergleichen, ist schlechter.
Den Fehler des Nicht-Marketings wollte ich beheben. Ich meldete mich also bei Facebook an und stellte fest: Das ist nichts für mich. Irgendwann fand ich Instagram, ich mag Bilder und Fotos und war der Meinung, das ist meine Plattform. Hier könnte ich mich wohl fühlen, hier könnte ich netzwerken und Kontakte knüpfen. Kontakte waren und sind – das hatte auch ich dann mal verstanden – das A und O in allen Lebenslagen.
Doch es fällt mir nicht leicht, auf Menschen zuzugehen. Vor allem dann nicht, wenn es sich um Menschen handelt, die anscheinend alle bereits zu einer Gruppe gehören. Ich schrieb ein paar Leute an, kommentierte Beiträge, bewarb mich auf Beta-Leserunden.
Natürlich habe ich auch sehr gute Kontakte knüpfen dürfen. Ich habe über eine Leserunde eine Autorin und Buchbloggerin kennen gelernt, deren Feedback zu meinen Geschichten mich lange beflügelt hat. Als wir uns auf der Leipziger Buchmesse 2019 endlich live kennen lernten, war ich begeistert – stand aber schon am Abgrund meiner Motivation. Am Ende lag es an mir, dass sich der Kontakt nicht vertieft hat.
Denn mit all den Möglichkeiten der sozialen Medien kommen auch die Fallstricke. Es gibt so viele Leute, mit denen man sich vergleichen kann. Wie die oben erwähnte Autorin, deren Erfolg ich mit verfolgen konnte, gab es so viele andere Menschen, deren tägliche geballte Informationsflut mich mehr demotiviert hat, als ich es mir je hätte denken können. Mit jedem nicht kommentierten Post von mir, jedem Kontakt, der im Sande verlief, jedem nicht beantworteten Kommentar wurde in meinem Kopf deutlicher: Ich gehöre nicht dazu. Ich kann das nicht.
Sich mit anderen über das Schreiben zu unterhalten, wenn man sich jeden Tag dazu zwingen muss, fühlte sich heuchlerisch an. Über Bücher zu reden, obwohl jede Seite eine Qual ist – unabhängig vom Buch, sondern aufgrund meiner eigenen Einstellung – ist schwer. Und sich die Zeit für stilvoll arrangierte Fotos zu nehmen, die für das Marketing mittlerweile überall und natürlich besonders auf Instagram unabdingbar sind, widerstrebte mir.
Es war mir ein Leichtes, mich mit jedem einzelnen meiner Mitstreiter zu vergleichen. Und das wäre vielleicht kein so großes Problem, wenn die wenigstens ansatzweise am gleichen Punkt wären wie ich. Doch ich verglich mich mit den schillernden, glitzernden Persönlichkeiten, die aus der Masse heraus stachen.
Auch deshalb war das Rant-Video gestern eine Art Wachrütteln. Ich hatte die Person, deren Praktiken da an den Pranger gestellt wurden, fast vergöttert. Ich hatte viele ihrer Videos gesehen, ihren Ratschlägen gelauscht und sie für bare Münze genommen, hatte ihren projizierten Lebensstil als genau das angesehen, was ich anzustreben hatte. Von dem Angestelltenjob in die Selbstständigkeit, als Single und ohne Kinder, war sie mein Vorbild – aber irgendetwas stimmte nicht.
Ich habe aufgrund meines mehr oder weniger unfreiwilligen Sabbaticals länger nichts aus der Szene gehört, und der Abstand schien mir gut getan zu haben. Denn alles, was in dem Video aufgezeigt wurde, ergab Sinn. Und plötzlich verstand ich, warum ich so ein Problem damit hatte, so zu werden wie die Person:
Eigentlich will ich das alles gar nicht.
Input wird zu Output. Garbage in heißt auch: Gargabe out.
Arbeiten, arbeiten, arbeiten. Die Nachricht ist in aller Munde. Man muss nur durchhalten und hart arbeiten – dann kommt der Erfolg von allein. Das zumindest sagen ganz viele erfolgreiche Menschen. Hoch lebe die #hustle-Kultur.
Aber, mal ehrlich, wie viele erfolgreiche Menschen, die auf ein großes Repertoire an Büchern (oder Musik oder anderer Kunst) zurückblicken können, würden denn etwas anderes behaupten? Ich habe noch niemanden gehört, der gesagt hat: Ja, also das ist mir alles so zugeflogen, ich chille den ganzen Tag auf der Couch, bis die Muse mich küsst. Ich denke, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass alle erfolgreichen Menschen hart arbeiten.
(Erfolg ist nicht gleich gesetzt mit Geld, wohlgemerkt. Ich denke, wir wissen alle, dass man auch sehr viel Geld haben kann, wenn man nicht hart arbeitet.)
Wer aber nie zu Wort kommt: All die Menschen, die täglich hart arbeiten und trotzdem nicht erfolgreich sind. Die Menschen, die nicht bereit sind, jahrelang nur vier Stunden nachts zu schlafen, um morgens 3 Uhr zum Schreiben aufzustehen – weil sie andere Prioritäten haben (müssen). Oder die, die genau das tun und ihre Geschichten trotzdem nicht verkaufen können. Die Menschen, die nur nebenbei Geschichten schreiben, weil sie nie als Ziel hatten, Vollzeitautor zu werden. Oder die, die bei dem Versuch scheiterten.
Nein, ich hörte nur von den Gary Vaynerchucks meiner Branche, modellierte meine Pläne nach diesen Menschen…
…obwohl ich deren Lebensstil für mich selbst nicht haben möchte.
Ich verglich mich mit Menschen, die teilweise halbgare Produkte auf den Markt warfen. Menschen, hinter denen ein ganzes Team von Leuten stand, um aus dem halbgaren Produkt ein Festtagsmahl zu zaubern. Menschen, die mir jahrelange Erfahrung voraus hatten und viel bessere Pläne erstellen konnten. Und mit Menschen, die ein völlig falsches Bild von sich selbst, ihrem Erfolg, ihren Einnahmen und ihrem Lebensstil projizierten.
Jeder kann heutzutage einen Podcast oder einen YouTube-Kanal starten. Jeder kann Ratschläge verteilen, die er vorher aus einem Buzzfeed-Artikel aufgesaugt oder in Stephen Kings Schreibratgeber gelesen hat. Das bedeutet aber nicht, dass derjenige auch qualifiziert genug ist. Und selbst wenn er das ist, was man von Stephen King schon behaupten kann, bedeutet das nicht, dass man solche Ratschläge oder Lebensweisheiten annehmen sollte. Oder das man diese auf sein eigenes Leben anwenden kann.
Ich liebe den Artikel „Sponsored by my Husband“ von Ann Bauer. Er handelt von der Frustration, wie wenig Autoren tatsächlich ehrlich über ihre Einnahmen und den Weg zum Erfolg reden. Vielleicht, weil sie sich gar nicht bewusst sind, was zu ihrem Erfolg beigetragen hat. Vielleicht, weil es sich nicht gehört, zu sagen: Ich hatte eine Menge Glück. Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort, habe die richtige Geschichte dem richtigen Menschen gezeigt. Ich hatte Kontakte in die Verlagsbranche. Ich habe einen Ehemann, der genug Geld verdient, damit ich zuhause bleiben und schreiben kann. Das bedeutet nicht, dass jeder Erfolg nur auf „Glück“ basiert. Wie schon erwähnt arbeiten mit Sicherheit alle erfolgreichen Leute hart.
Allerdings zeigt der Artikel, wie unterschiedliche Lebensumstände einige Ratschläge wertlos machen. Ich hatte keine Rücklagen und hätte niemals die Möglichkeit gehabt, meinen Job zu kündigen um Vollzeitautorin zu werden. Ich hatte keinen Partner, mit dem ich mir Haushaltsangelegenheiten hätte teilen können und der mich finanziell unterstützt hätte.
Und wie gesagt: Mir wird mehr und mehr bewusst, dass ich das nicht will.
Feedback ist wichtig. Und gefährlich.
Warum war ich ursprünglich zum Schreiben gekommen? Ich wollte meine Geschichten mit anderen teilen. Ich wollte die Gefühle bei meinen Lesern auslösen, die andere Bücher bei mir auslösten. Ich wollte Welten erschaffen, in denen sich andere verlieren konnten und Fragen aufwerfen, über die man nachdenken konnte.
Als ich letztes Jahr den Stift fallen ließ, war ich furchtbar weit entfernt von diesem Gedanken.
Und doch war ich natürlich nicht völlig losgelöst von den Lesern, die sich in meine Geschichten vertieften. Auch wenn mein Fokus woanders lag, kam ich nicht umhin, mit deren Feedback konfrontiert zu werden.
Nun gibt es auch zum Thema Feedback und Rezensionen eine Menge Ratschläge, die auch rein theoretisch und „vom Kopf her“ Sinn ergeben. Mir war klar, dass nicht jeder meine Geschichten mögen würde. Selbstverständlich würde es genügend Leute geben, die etwas an den Geschichten auszusetzen hatten, es würde schlechte Rezensionen geben. Alles kein Problem.
Dachte ich.
Wenn ich nicht wüsste, dass du das geschrieben hast, würde ich denken, der Autor hat Probleme. Psychische Probleme, meine ich.
So ein Satz sitzt, vor allem, wenn er von einem geliebten Menschen kommt. Und wenn jemand einem ungefragt mehr als einmal sagt, dass die Geschichten eben einfach nichts für ihn sind, dann sitzt auch das. Ich bin kein Mensch, an dem so etwas spurlos vorbei geht oder der sich dann denkt, jetzt erst recht. Ich habe auf Deutsch geschrieben, nicht nur, aber auch damit die Menschen in meinem Umfeld meine Geschichten lesen können – Menschen, die ich liebe und von denen ich natürlich hoffte, sie würden die Geschichten mögen. Das Feedback fühlte sich an wie ein Schlag ins Gesicht trotz der Tatsache, dass ich so viel positives Feedback erhalten habe.
Ich hatte, schlicht gesagt, das Gefühl, auf ganzer Linie zu versagen. Und immer wieder schlich sich der Gedanke ein: Soll das jetzt wirklich mein ganzes Leben so weiter gehen? Sollte ich dafür den Schlaf und die Zeit opfern, mich stressen und selbst kasteien für jedes Wort, das ich nicht schreiben wollte? Mein Kopf streikte. Meine Hand streikte. Mein Stift streikte.
Ein Happy End wäre an dieser Stelle angebracht. Eine kurze Rückblende, wie ich aus der Asche auferstand, den Rechner anschmiss und auf magische Weise meinen Debütroman zu Papier brachte, nachdem ich mich endlich von all den Glaubenssätzen löste. Aber, wer meine Geschichten kennt, weiß, dass das mit dem Happy End bei mir so eine Sache ist.
Es gibt sie meistens nicht.
Und so auch jetzt nicht. Ich habe erst gestern überhaupt verstanden, was eventuell schief gelaufen ist. Erst heute habe ich diesen Artikel geschrieben – zugegeben, er ist lang und beinhaltet mehr Wörter als ich in den letzten drei Monaten geschrieben habe. Aber eine Lösung habe ich trotzdem nicht.
Ich habe noch nicht einmal eine Antwort auf die Frage, ob ich überhaupt eine Lösung will.
Geschichten lassen sich zwar durch „Disziplin“ erzwingen, doch die meisten davon sind dann eben halbgar. Bei manchen interessiert den Leser eigentlich nur der hinter den meist zu vielen Worten versteckte rote Faden, der dann vielleicht sogar verblasst. Deine Kurzgeschichten sind anders. Hier zählt jedes Wort. Keines ist zuviel. Aber sowas purzzelt nicht vom Himmel, das braucht Reifezeit. Ich mag Deine Kurzgeschichten und sammle diese Brillianten … und ich kann warten.
PS: Manchmal muss man seine Zweifel, ob etwas gelungen ist, einfach beiseite schieben. Es ist nicht alles gut, was man im Leben so tut! … aber Reaktion kommt eben nur, wenn man dem Text auch die Chance gibt, dass er gelesen werden kann, manchmal auch halbfertig.